ANTWORTEST du schon oder REAGIERST du noch auf die Komplexität unser unsteten Zeit?
Eine Blogserie mit 7 Artikeln zum Thema erfolgreiche Führung in komplexen Zeiten - wissenschaftlich fundiert und konkret umsetzbar.
17. Oktober 2023, Blog #2/7: In diesem Beitrag gewinnst du vertieftes Verständnis für die komplexe Ausgangslage unserer aktuellen Situation und legst damit den Grundstein für nachhaltige Lösungsansätze.
Inhalt
- Woran orientierst du dich bei deiner (Führungs-)Tätigkeit?
- Wie ist das heute, in unserer von Unstetigkeit geprägten Welt?
- Wie gehst du und deine Organisation mit (veränderten) äusseren Bedingungen um?
- Was bedeutet das?
- Beispiel aus der Praxis
- Woran erkennst du, ob in deiner Organisation die Gefahr der Re-Aktion droht?
- Stress aufgrund von re-aktiven Mustern macht krank
- Wie also verhinderst du persönlich und in deiner Organisation Re-Aktion?
Im ersten Beitrag wurde beleuchtet, wie sich diese Blogserie strukturiert und weshalb das Thema gerade heute so zentral ist. Im aktuellen Artikel machen wir uns auf die Spur, warum Re-Aktion-orientiertes Handeln heute nicht mehr ausreicht um erfolgreich zu sein.
Woran orientierst du dich bei deiner (Führungs-)Tätigkeit?
Im klassischen Management lernten wir lange Zeit primär aus der gemachten Erfahrung: der Vergangenheit. Entweder wiederholten und verstärkten wir Gelungenes oder wir korrigierten den Kurs.
Dieses Lernverhalten entspricht linearen Bewegungen. Auf diese Weise brachten wir uns bis jetzt als Privatpersonen, Führungskräfte und Organisationen erfolgreich in eine günstige Position. So entstand auch die Sackgasse des Wachstums-Paradigmas, dem wir bis heute folgen. Kurz: Bisher reichte es, zu re-agieren.
Wie ist das heute, in unserer von Unstetigkeit geprägten Welt?
Mit dieser komplexen Ausgangslage hat sich C. O. Scharmer auseinandergesetzt. Er ist deutscher Ökonom und Aktionsforscher am MIT in Cambridge, USA. Mit seiner «Theorie U» hat er weltweite Anerkennung erlangt. Darin stellt er die Phänomene der heutigen Welt sinnbildlich mit drei Abgründen dar (vgl.
Scharmer, 2019, S. 21-23):
- Der Ökologische Abgrund steht für die masslose Umweltzerstörung, die zum Verlust der Natur führt.
- Der Soziale Abgrund umschreibt unsere gesellschaftliche Polarisierung und Zersplitterung, die zum Verlust des sozialen Zusammenhalts führt.
- Der Spirituelle Abgrund versinnbildlicht die steigenden Zahlen psychosozialer Krankheiten, den Sinnverlust sowie die mangelnde Wahrnehmung des eigenen Zukunftspotenzials.
Diese Phänomene und Kräfte, die von aussen auf Organisationen einwirken, verursachen enormen Handlungsdruck.
Wie gehst du und deine Organisation mit (veränderten) äusseren Bedingungen um?
Wir kennen sie alle, die berüchtigten und oft übereilten Sofortmassnahmen. Damit versuchen wir, uns möglichst rasch und effizient (veränderten) äusseren Bedingungen anzupassen: dem Markt, der Umwelt, Erwartungen von Shareholdern.
Wenn wir grossen Druck erleben und die Spannungen nicht mehr aushalten, wollen wir das – verständlicherweise – rasch beseitigen. Dies tun wir oft, in dem wir auf operativ, kurzfristige Lösungen fokussieren: Sofortmassnahmen.
Dass dabei die tatsächlichen Ursachen für die aktuelle Situation untergehen, wird in der Hitze des Gefechts vergessen. Ebenso werden auch die indirekten Auswirkungen innerhalb des organisationalen Systems nicht untersucht. Es fehlt schlicht die Zeit oder das Bewusstsein für die Wichtigkeit einer sorgfältigen Gesamtsicht.
Im Stress kommen Verantwortungsträgerinnen, Führungskräfte und Mitarbeitende in einen Modus der Re-Aktion.
Was bedeutet das?
Re-Aktion-orientiertes Handeln ist fremdbestimmt. Es wird von äusseren Ereignissen (an-)getrieben und ist obendrein auf kurzfristige Wirkung ausgelegt. So geraten langfristige, nachhaltige Lösungen aus dem Blickfeld.
Wenn als Folge die ad hoc verordneten Maßnahmen nicht die erwartete Wirkung zeigen, verschlechtert sich die Situation zusehends: Die Krise droht. Ein Teufelskreis beginnt (vgl. Hoffmann, 2016, S. 1).
Diese Dynamik möchte ich dir anhand eines Beispiels veranschaulichen – erlebt anlässlich einer Auftragsklärung für eine Organisationsberatung. Falls du das Beispiel überspringen möchtest, geht es hier weiter.
Beispiel aus der Praxis
Der Auftraggeber, ein Geschäftsleitungsmitglied einer mittelgrossen Organisation im Bauingenieurwesen mit ca. 800 Mitarbeitenden, erklärte mir:
«Vor zwei Jahren mussten wir unerwartet die Preise für eine Reihe von Auftragsarbeiten senken, da ein neuer Konkurrent den Markt mit Tiefstpreisen aufmischte. Konsequenterweise musste die zuständige Abteilung 13 % ihrer Gesamtkosten einsparen.
Die damalige Abteilungsleiterin schaffte das einfach nicht. Sie brachte es nicht übers Herz, Mitarbeiter zu entlassen und ihre Massnahmen griffen nicht. Daraufhin holten wir einen neuen Abteilungsleiter. Dieser setzte die Kostenreduktion rasch um: Mit Personalabbau, besserer Personal-Einsatzplanung und effizienteren Prozessen erreichte er das Ziel in nur sechs Monaten und alles lief rund.
Der aktuelle Grund, weshalb wir Ihre Unterstützung benötigen, ist aber ein anderer: Die Mitarbeitenden der erwähnten Abteilung sind aktuell in einen zwischenmenschlichen Konflikt mit der Akquisitions- und Verkaufs-Abteilung verwickelt. Prompt ist ein Mitarbeiter deswegen krankheitshalber ausgefallen. Eigentlich sind die Prozesse zwischen den Abteilungen klar geregelt.
Deshalb verstehen weder der betroffene Abteilungsleiter noch ich, was hier vor sich geht. Sie wurden uns empfohlen …» Dieses Beispiel zeigt eindrücklich auf, wie der Versuch, das Feuer zu löschen zwar das offensichtliche Problem des Kostendrucks löst, zeitgleich aber weitere Ebenen durchdringt und dort neue Unstimmigkeiten kreiert: In diesem Fall entstand etwas zeitversetzt ein – auf den ersten Blick lapidar erscheinender und nicht nachvollziehbarer – Konflikt zwischen den beiden Abteilungen.
Erst mit externer Beratung zeigte sich, dass die Abteilung, welche Mitarbeitende hatte entlassen müssen, sich angesichts des grosszügigen Akquisitionsbudgets benachteiligt und ungerecht behandelt fühlte, was zu Widerstand, Unterminierung von Prozessen und viel Stress zwischen den Mitarbeitenden geführt hatte.
Die Fragmentierung der Situation in mehrere, voneinander isolierten Problemstellungen, lässt einzelne Probleme – wie hier im Beispiel den Kostendruck- zwar kurzfristig bearbeitbar erscheinen, allerdings geht der ganzheitliche Blick verloren und der komplexen Realität wird nicht Rechnung getragen.
Oft können Ursache, Handlung und Ergebnis nicht mehr offensichtlich in Zusammenhang gebracht werden, weil die Wirkung indirekt, subtil und zeitverzögert erfolgt (vgl. Senge, 2017, S. 87 ff).
Meist reagieren wir nur auf die aktuell gut sichtbaren Symptome, während die Ursachen in aller Ruhe weiterwirken, sich unkontrolliert verstärken und immer neue Symptome produzieren.
Woran erkennst du, ob in deiner Organisation die Gefahr der Re-Aktion droht?
In der Organisationsberatung werden diese Dynamiken sichtbar, wenn Auftraggeber unter grossem Handlungsdruck stehen,
- auf rasche Lösungen fixiert sind,
- Lösungen primär «technisch» oder «sachorientiert» angehen,
- kein Bewusstsein für die dazugehörigen Verhaltensmuster haben
- und folgende Fragen nicht gestellt werden:
– was hat das mit uns zu tun?
– was liegt unter den Symptomen?
– und wie können wir das konstruktiv erkunden und bearbeiten?
Stress aufgrund von re-aktiven Mustern macht krank
Dieser, oft fremdbestimmte, sinn-entleerte Stress kann Menschen krank machen – du erinnerst dich an die eingangs erwähnten metaphorischen Spirituellen Abgrund nach Scharmer.
Ohne gesunde, motivierte und leistungsfähige Mitarbeitende kann eine Organisation aber langfristig weder gesund noch widerstands- und leistungsfähig bleiben. Dies wiederum kurbelt den erwähnten Teufelskreis an.
Wie also verhinderst du persönlich und in deiner Organisation Re-Aktion?
Aus Sicht der Organisationsberatung empfiehlt sich eine Umkehrung obiger Frage: Wie können wir einen Modus des pro-aktiven, gestaltenden und längerfristig wirkungsvollen Handelns entwickeln und stärken? Und welche Faktoren begünstigen das?
In den folgenden Blogartikeln stelle ich vier entscheidende Faktoren vor, die pro-aktives, gestaltendes und längerfristig wirkungsvolles Handeln begünstigen.
Bis dahin lade ich dich ein, folgende Fragen zu erforschen:
- Woran orientierst du dich aktuell bei deiner (Führungs-)Tätigkeit?
- Wie gehst du mit den sich rasant verändernden Bedingungen um?
- Wie erkennst du Re-Aktion?
- Welche Wege hast du bereits gefunden, um die Teufelskreise der Re-Aktion zu durchbrechen?
Herzliche Grüsse
Barbara Seeger
P.S. Du hast den Blog #1 verpasst? Dort erhältst du einen Überblick über die Struktur und Aufbau dieser Blogserie: «In 7 Schritten zu kraftvoller und erfolgreicher Führung in komplexen Zeiten».
Quellenverzeichnis
- Hoffmann, G. (2016). Organisationale Resilienz. Grundlagen und Handlungsempfehlungen für Entscheidungsträger und Führungskräfte. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
- Scharmer, O. (2019). Theorie U. Von der Zukunft her führen. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag und Verlagsbuchhandlung GmbH.
- Senge, P. (2017). Die fünfte Disziplin. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft.Steuern.Recht GmbH.
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